Vorsichtig und fast ehrfürchtig gehe ich beim Auseinanderschrauben zu Werke, denn die alte Lady ist eine frühe 76er und so etwas bekommt man nicht alle Tage zum Handauflegen. Und zu ihrem 40. soll sie technisch und optisch eine gute Figur machen, obwohl sie sich jetzt schon nicht verstecken muß.
Stets steht eine Schar Bewunderer um sie herum, meistens mit digitalen Fratzenfallen ausgerüstet.
Ich erwäge, den in den Ritzen befindlichen californischen Staub vorsichtig aufzuklauben und in einem Tütchen zu erhalten (nee - nur Spaß!). Schließlich ist das Aggregat freigelegt, das 2.000km alte Öl aus den letzten zwei Jahren ist schon lange abgelaufen. Nebenbei dokumentiere ich fleißig digital das Demontieren, die weiße Coolpix erhält dabei einen gleichmäßig braunen Schmutzfilm.
Der betagte Motor verläßt nicht zum ersten mal den Rahmen, denn beim Kauf bemerkte ich schon durch das Kerzenloch, daß ein nagelneuer Kolben verbaut war. Es ist immer wieder spannend, was einen nach so langer (Lauf-)Zeit im Inneren erwartet.
Erwartungsvoll stemme ich die ausgeblutete Antriebseinheit auf meinen drehbaren Montagetisch und beginne wie immer an der Kupplungsseite. Kontaktgehäuse trocken und ölfrei, kein Gammel. Die Schrauben vom Kupplungsdeckel lösen sich gleichmäßig mit einem markanten "Knaaack". Da die Dichtung sehr fest klebt, greife ich zur bewährten Methode und spalte sie mit einer Teppichmesserklinge an zwei gegenüberliegenden Stellen und trenne schonend den schützenden Kupplungsdeckel vom Gehäuse und seinen empfindlichen Innereien.
Innen erwartet mich erstaunlich wenig Schlamm, aber auf allen Teilen dieser bräunliche Belag, von dem ich glaube, daß er durch Blow-by und/oder von zu lange gefahrenem Öl stammt. Die OT-Nase ist noch da, das Kickstarterblech noch heile und auch keine Kampfspuren an der hinteren Gehäuseseite, wo gerne mal die losen Blechteile ein Loch ins Gehäuse zaubern. Das Gehäuse hat erstaunlicherweise keine Nummern auf den beiden Hälften, sehe ich zum ersten Mal (nicht). Die Wellendichtringe erscheinen mir sehr hart und haben teilweise Anflüge von inkontinenz gehabt, also alle tauschen.
Nach der Demontage der Kupplungsdruckplatte stelle ich zum wiederholten Mal fest, daß die zentrale Kupplungsmutter nicht so wirklich fest sitzt. Was das heißt, wissen wir ja schon. Da ich wegen der schon früher angesprochenen Schwergängigkeit des Leerlaufeinlegens eh spalten möchte, mache ich das gleich mit. Die Schaltung war übrigens korrekt ausgerichtet, die Schaltwelle nicht krumm. Das Problem muß ein anderes sein!
Ich wende mich dem Bereich zu, der die Steuerung des Gaswechsels beinhaltet. Zunächst fällt auf, daß die Hutmutter neben der Zündkerze ihren Platz mit einem der vier Pendants getauscht hat, das sieht befremdlich aus. Außerdem fehlen alle U-Scheiben der M10-Muttern. Na, da kommt Hoffnung auf, was man noch so alles findet, gelle? Die Schrauben und Muttern sind für meinen Geschmack unglaublich fest angezogen - da hat es einer sehr gut gemeint. Trotzdem kann ich keinen einzigen Gewindeschaden feststellen und alle Schrauben sind nahezu ohne Rostansatz. California condition!
Der Einlaßkanal ist zum Glück unberührt und präsentiert sich zu meinem Entzücken mit jungfräulichem Charme. Jetzt wird es spannend, denn das Kipphebelgehäuse wird abgehoben. Das ist für mich immer ein so erhebender Moment wie es seinerzeit für Howard Carter war, als er den Deckel zu Tutenchamun`s Mumie öffnete.
Aufatmen - das sieht gut aus. Seidenmatt glänzend präsentieren sie die Nocken und die Gleitflächen der alten Chromkipphebel, lediglich die Einlaßseite weist einen leichten Schieflauf auf, der aber (noch) nicht beängstigend ist. Auf jeden Fall werden alle Teile vermessen, dokumentiert und dann der Zustand beurteilt.
Die Ventilschaftenden sind superglatt (selten), die Einstellschrauben mache ich lieber neu. Die Federn sind richtig herum eingebaut, kein Federteller gespalten oder rissig. Allerdings sehen die etwas kantiger aus, als ich sie sonst kenne. Neulich habe ich einen Motor eines Freundes repariert, da war auch so ein Teil bei. Nach dem Abheben des Zylinderkopfes schiessen mir Tränen der Freude ins Auge, denn Zylinderkopf und Kipphebelgehäuse haben die gleiche Nummer. Außerdem ist erfreulicherweise noch das 45mm Einlaßventil verbaut.
Soweit sieht das alles gut aus ...
... bis auf die Tatsache, daß jemand mit einem rotierenden Drahtstrubbel die alten Dichtungen entfernt hat. Ich werde alle Flächen abziehen bzw. überschleifen.
Theo